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Kaltblut und passender Sattel – ein Widerspruch? (Teil 3)

Auf der ewigen Suche nach passendem Zubehör fiel mir auf, dass in einigen Foren und Social Media Gruppen immer wieder Hinweise auf die Sattelmarke „Massimo“ auftauchten. Einen Kaltblut Sattel in richtiger Passform zu bekommen ist bekanntermaßen nicht ganz einfach. Neugierig geworden schrieb ich die Firma mit Sitz in Wegberg an. Es entstand ein sehr freundlicher Kontakt mit Janine Pauls (geb. Zeitler), die mich an einem schönen, sonnigen Tag durch den Betrieb führte.

Aus der Not zur Tugend

Um mich ein wenig auf den Besuch vorzubereiten, stöberte ich vorab auf der Firmen-Webseite www.massiomo-sattel.de. Dort fand ich einen der häufigsten Gründe, warum jemand in einem augenscheinlich satten Markt erfolgreich mit einer neuen Geschäftsidee startet: es gab nichts Passendes für den eigenen Bedarf! In diesem Fall: für den 3-jährigen Coloured Cob (oder auch Irish Tinker) Wallach Shannon der Tochter fand sich kein passender Sattel. So entstand vor über 22 Jahren ein bis heute funktionierender und profitabler Zweig des Familienbetriebes.

„Gut 800 kg Kuschelmasse wollten sich einfach nicht in die herkömmlichen Sattelmodelle ‚pressen‘ lassen. In solch einem Fall ist es gut an der Quelle zu sitzen und über viele Kontakte zu verfügen, die helfen könnten. Es wurde jedoch schnell klar, dass es nahezu als unmöglich galt die großen/dicken/kräftigen Pferde mit Standardsätteln zu versorgen.“, so Pauls auf meine Eingangsfrage nach den Ursprüngen der Firma.

Die Firma ihrer Eltern „Zeitler Sport und Freizeit“ ist keine Sattlerei im klassischen Sinn. Bereits vor der Entstehung der Marke Massimo verkauften sie Sättel unter eigenem Namen. Diese stammten aus englischer Produktion. Letztendlich passte keiner von ihnen auf Shannon. Auch andere Händler konnten nicht helfen. Fündig wurden sie über gute Kontakte bei dem argentinischen Sattler Jorge Canaves. Er baute nach den Vorgaben Zeitlers einen Sattel in Kammergröße 36. Es war der erste Sattel, der perfekt auf Shannon passte. Der Prototyp der neuen Marke Massimo war geboren.

Danach ging es zügig weiter. Nach dem Vielseitigkeitsmodell folgte bald der „Dressur I“. Die verfügbaren Kammerweiten wurde bis auf 42 erhöht. Diverse Sitzgrößen, Pauschen und Farben kamen hinzu, denn auch die Individualität der Reiter will bedient werden. Mittlerweile bietet Massimo verschiedene Sattel-Modelle für Vielseitigkeit, Dressur, Springen und Wanderreiten an. Für Freunde der Island-Pferde und deren besonderen Anforderungen gibt es ebenfalls passende Sättel. Eine Besonderheit auf dem Markt ist sicherlich der Sattel „Massimo Smile“, ein an die speziellen Erfordernisse der therapeutischen Arbeit mit Pferden angepasster Sattel. Er ermöglicht motorisch eingeschränkten Menschen das Glück auf dem Rücken der Pferde zu genießen. Ein besonders stabiler Griff zum Festhalten, sehr flexibel anpassbare Pauschen und Kissen, sowie weitere Besonderheiten sichern den Sitz der Reiter. Dadurch können auch sanfte Kaltblüter als Therapiepferde eingesetzt werden. Wer sich für solch einen Sattel interessiert, sollte aufgrund der großen Individualität am sinnvollsten direkt mit Fa. Zeitler Kontakt aufnehmen.

Massimo ist die italienische Form des lateinischen Namens Maximus („der Größte“), die meisten Kunden verbinden Massimo jedoch eher mit Masse. Beide Analogien führen den Kunden letztendlich zu passenden Sätteln für ungewöhnliche Pferde. Mittlerweile liegt der Fokus nicht nur bei den „Dicken“, auch schlankere Sportpferde finden bei Zeitlers ihr Glück.

Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale

„Was macht Ihre Sättel so besonders? Warum schaffen Sie es, dass ihre Modelle gerade bei den kräftigeren Pferden perfekt passen?“ möchte ich von Pauls wissen. Ihrem Blick sah ich an, dass sie und ihre Familie durchaus stolz auf das Geschaffene sind. „Neben der notwendigen Wirbelsäulenfreiheit durch große Kammerweiten, sind es vor allem die eigenen Erfindungen und Verbesserungen, die wir zusammen mit unserem Hersteller in Südamerika in unseren Sätteln verbauen. Wir können bspw. besonders kurze Sättel mit der benötigten breiten Auflagefläche anbieten. Auch unsere besondere Form der Kopfeisen orientiert sich an den Bedürfnissen kräftiger Schultern und breiter Rücken.“ antwortet sie. Diese sind relativ kurz und leicht nach hinten gebogen, wodurch sich die gute Schulterfreiheit ergibt. Das direkte Feedback der Händler und Sattler hilft die Funktionalität zu verbessern. Durch stetige Optimierungen bleibt die Marke Massimo vielseitig und hebt sich vom Wettbewerb ab.

Bei Zeitlers wird großer Wert auf ein familiäres Umfeld gelegt. Ein Großteil der Endkunden kommt aus dem Bereich der Freizeitreiter, auch wenn der Anteil der Sportpferde mit Massimo Sätteln größer wird. Das macht die Marke authentisch.

Die dritte Generation der Zeitlers bringt sich bereits in den Betrieb ein. Eine süße Anekdote lieferte die damals 2-jährige Tochter von Pauls. Eine Kundin stand vor einem Sattel und sagte: „Das ist ein toller Vielseitigkeitssattel!“. Die Kleine, die mit ihrer Mutter neben der Kundin stand, nahm den Nucki aus dem Mund und sagte belehrend: „Dreeessuuhur! Lange Nupfen!“ und meint damit die langen Strupfen, weshalb es nur ein Dressursattel sein kann.

Wie kommt ein Kunde an seinen Sattel?

Der Verkauf an Endkunden erfolgt europaweit ausschließlich über Sattler oder Fachhändler. Von ihnen wird der Sattel letztendlich an das individuelle Pferd angepasst, denn kein vorgefertigter Sattel passt auf Anhieb. Das wäre ein Glückstreffer. Die lokalen Sattler kennen das jeweilige Kundenpferd und die Sättel der Marke Massimo. Sie wissen wie sie angepasst werden müssen und kennen alle Variationsmöglichkeiten, bspw. durch verschiedene Kissenarten.

Zeitlers haben ein großes Warenlager mit bis zu 500 vorbereiteter Sättel in Wegberg, sodass nach Bestelleingang in aller Regel umgehend geliefert werden kann. Von Kammerweite 27 bis 42 (bei Bedarf auch mehr), bis zu vier Sitzgrößen, zwei verschiedene Arten Polsterkissen und verschiedene Sattelmodelle unterschiedlicher Längen. Praktisch jede Kombination davon ist sofort lieferbar. Sonderanfertigungen sind ebenfalls möglich und werden individuell gefertigt. Dann ist die Wartezeit jedoch ein wenig länger.

Die Produktion erfolgt in Paraguay. Dort gibt es eine deutsche Enklave, wodurch die Kommunikation vereinfacht wird. Mittlerweile erreichen wöchentliche Lieferungen aus Südamerika das Warenlager. Auch ein umfangreiches Ersatzteillager wird in Wegberg vorgehalten, welches zum Glück selten gebraucht wird.

Führung durch das Lager

Bei meinem Besuch vor Ort stand nun der Gang durch das Warenlager an. Hunderte fertiger Sättel sind schon ein beeindruckendes Bild. Sortiert nach Modellen, Größen und Farben sah es nach einer verdammt großen „Sattelkammer“ aus. Während wir durch die Gänge streiften, erklärte mir Pauls direkt am Objekt, was ihre Sättel ausmacht. So ergab sich ein lockeres Gespräch während wir verschiedene Themen „abarbeiteten“.

Blick in das Sattellager
Blick in das Sattellager

Um bei Bedarf eine ausreichend große Auflagefläche zu erzielen, können Sattler bei Massimo zwischen Keil-Kissen und französischen Kissen wählen. Erstere sind die „normalen“ Kissen, so wie man sie kennt. Die französischen sind etwas flacher und breiter. Diese kommen bspw. zum Einsatz, um kurzen Sätteln dennoch ausreichend Auflagefläche bieten zu können. Zu lange Sättel behindern das kurze Pferd, drücken auf die Nieren und stören die Bewegung. Kaltblüter haben ihrer Erfahrung nach tendenziell kürzere Rücken. Das ist vorteilhaft für die Arbeit am Zug und vor Kutschen, führt beim Reiten jedoch zu den gerade beschriebenen Besonderheiten.

Es sind die Details, die eine gute Sattelberatung ausmachen. Bei obigem Beispiel des Typus „kurzes Pferd“ kann es sinnvoll sein, nicht den Vielseitigkeitssattel mit weit geschnittenem Schweißblatt zu wählen. „Bei solchen Fällen empfehlen wir eher einen Dressursattel mit gerade geschnittenen Blatt. Das stört die freie Bewegung der Schulter weniger.“ so Pauls.

Als wir bei den Sätteln durch waren, kamen wir zu den Regalen mit dem Zubehör. Neben den Verbesserungen bei den Sätteln ergaben sich im Laufe der Zeit eigene Innovationen beim Zubehör. Bspw. Gurte mit gleitenden V-Strupfen für die „Kugelfische“, bei denen öfters nachgegurtet werden muss. Oder Steigbügelgurte mit kleinerem Abstand zwischen den Löchern. „Bei Kaltblütern sollten besser Gurte ohne Elastik verwendet werden, da sonst der Sattel auf der anderen Seite heruntergezogen wird. Besser ist es auf beiden Seiten ins äußerste Loch zu gurten und diese dann abwechselnd stückweise anzuziehen, damit der Sattel auf dem Pferderücken gerade bleibt.“ weist Pauls auf eine weitere Besonderheit bei Kaltblütern hin. Gurte gibt es bei Zeitlers in Leder oder Synthetik. Sie bleiben formstabil durch gekreuzte Nylonbänder und krempeln sich dadurch nicht um.

Eine weitere Eigenentwicklung ist ein 5-fach verstellbares Vorderzeug. Durch die besondere Führung der Gurte zieht es sich letztendlich so hin, wie es am besten passt und weniger Druckstellen verursacht.

Klett-Pauschen werden von Kunden verstärkt nachgefragt. Derzeit ist es bei zwei Modellen der Dressur Sättel möglich unterschiedlich stark ausgeprägte Pauschen durch ein Klett-System bei Bedarf selber zu wechseln. In Kürze wird das System auch für andere Modelle erhältlich sein. Dadurch können unterschiedliche große Pauschen vor und/oder hinter dem Reiterbein angebracht werden.

Einen letzten praktischen Tipp gibt sie mir am Ende noch vor einem Pferdemodell, auf dem gerade ein Sattel aufliegt: „Die richtige Sattellage finden Sie nicht, wenn Sie den Sattel vom Widerrist aus nach hinten schieben. Legen Sie den Sattel vor die Kruppe und schieben Sie ihn von dort aus nach vorne, bis er von selber stoppt.“ Erstaunt probiere ich es aus. Sie hat Recht, das ist wirklich einfacher und deutlich zu fühlen. Um die evtl. gegen den Strich geschobenen Haare solle ich mir keine Sorgen machen, nach ein paar Schritten legen die sich wieder richtig.

Das war nun mein dritter Besuch bei einem Hersteller von Sätteln, die sich für die kräftigeren Pferde mit mehr Schulter nutzen lassen. Ich hoffe mit diesem Bericht den ewig Suchenden unter den Kaltblut-Besitzern und -Reitern wieder ein Stück weiter geholfen zu haben.

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Kaltblut und passender Sattel – ein Widerspruch? (Teil 1)

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Western- und Wanderreiten

Du hast doch was mit Shires zu tun, da kennst du dich doch bestimmt mit Sätteln für Kaltblüter aus. Sag mal…
So oder ähnlich werde ich oft angesprochen, wenn (Neu-)Besitzer eines Kaltblutpferdes die gängigen Fundstellen im Netz oder diverse Reitsportgeschäfte nach einem einigermaßen passenden Sattel für ihre Dicken durchsucht haben.

Sättel für Kaltblüter müssen nicht einfach nur eine Nummer größer sein, einige Besonderheiten sind zu beachten. Es reicht nicht die Sättel nach üblichen “Schnittmustern” zu bauen. So ist sehr häufig eine breitere Kammerweite im Verhältnis zu Sattelgöße notwendig. Auch die Auflageflächen und Polsterungen sind im Verhältnis zur Sättelgröße ausladender.

Hier ist erfreulicherweise der Trend zu erkennen, dass Hersteller die Kaltblutreiter als neue Kundschaft ins Visier nehmen und einige ihrer Sättel auch in passenden Größen anbieten. Da, wie in diesem Buch beschrieben, das Shire Horse und Clydesdale ein vom klassischen Kaltblut abweichendes Exterieur haben, wird man manchmal dennoch um eine Maßanfertigung nicht herum kommen.

Auffällig ist, das früher weniger Unterschiede bei den Sätteln zu sehen waren und ein Sattel oft auf mehreren Pferden genutzt wurde. Hatte man früher nicht auf die passende Sattelform geachtet?!? Ein Reitmeister gab mir eine einleuchtende Erklärung dafür: heute gibt es deutlich mehr unterschiedliche Pferderassen in Deutschland, deren Rücken große Unterschiede aufweisen. Vom Shetty über Isländer, verschiedenen Barockrassen, die bekannten deutschen Warmblutrassen über Apaloosas, Paint und Quarter Horse bis hin zu den verschiedenen Kaltblut Rassen inkl. Shire Horse und  Clydesdale. Die früher genutzten Pferde waren sich noch sehr viel ähnlicher, so dass ein Sattel in der Regel auf mehrere Pferderücken passte.

Selber neugierig geworden hörte ich mich um, welche Sattlereien sich mit den Besonderheiten der Dicken auskennen. Ich habe mich bei zwei Sattlern, deren Sättel ich häufiger bei Shire Horse und Clydesdale gesehen habe, umgehört und sie nach den Besonderheiten Ihrer Sättel befragt. Um dem wachsenden Trend im Wander- und Westernreiten gerecht zu werden, wurde ich bei der Firma Rieser vorstellig. Für Dressurreiter und Freunde der iberischen Reitweisen sprach ich mit der Fima Signum Sattelservice.

Ähnlich wie bei den Beiträgen zur Hufpflege gibt es nicht die eine richtige Reitweise oder den einen richtigen Sattel. Es fängt schon bei der Wahl des Sattelbaumes an: fest, flexibel oder gar ohne Sattelbaum – fragt man drei Reiter bekommt man vier Meinungen. Die Auswahl der Sattler in den folgenden Beiträgen ist nicht repräsentativ oder marktabdeckend und eher meinem direkten Umfeld geschuldet. Ich bin mir jedoch sicher, dass die dabei gewonnenen Informationen viele Fragen beantworten. Daher reflektiere ich (hoffentlich) wertfrei das Wissen, das ich erhalten habe.

Handwerk trifft High-Tech

In diesem Beitrag gebe ich die vielen Informationen wieder, die ich bei meinem Besuch der Sattlerei Rieser in Obersteinebach im Westerwald mitgenommen habe. Die Firma Rieser hat eine große Expertise bei Sätteln für Westernreiten, Freizeit- und Wanderreiten. Sie produzieren auch Dressur- und Iberische Sättel, den Schwerpunkt für dieses Kapitel setze ich jedoch auf Sättel für das Westernreiten, gleichwohl viele der Fakten für alle Reitweisen und deren Sattelformen gelten. Im nächsten Kapitel berichte ich dann über eine andere Sattlerei und das weite Umfeld der Dressursättel.

Altes Handwerk, Sattlerei und Goldschmiede

An einem regnerischen Tag im Februar begrüßt mich Christoph Rieser in seinem Betrieb und führt mich zur Einstimmung durch alle Abteilungen. Neben den Arbeitsplätzen der Sattler und den funktionalen Räumen, die man dort erwartet, wie bspw. Lederlager oder Zuschneidetisch, war ich von der hauseigenen Goldschmiedewerkstatt überrascht. Mit etwas Abstand betrachtet ist es jedoch sinnvoll, denn gerade die Show-Sättel der Westernreiter benötigen oft viel Silber und Handarbeit. So kann alles aus einem Haus geliefert werden. Mit seiner Sattlerei und Goldschmiede hat Rieser über 30 Jahre Erfahrung in der Herstellung von Sätteln und Sattelzeug. Immer einen Besuch wert ist die Sattel-Sammlung aus Originalen und beeindruckenden Replikaten von Satteltypen des 19. Jahrhunderts, sowie aktueller Sattelmodelle und funktionalem Zubehör.

Neben dem Charme des Historischen setzt Rieser immer wieder Akzente in Forschung und Entwicklung, bspw. entspringt das von ihm erfundene und patentierte EQUIscan® Mess-System („blaues Messgerippe“) den Bedürfnissen aus der Praxis. Neben dem handwerklichen Know-How bringt Rieser auch seine Erfahrungen als Reiter ein. Er kann auf große Erfolge in der Westernreiterei zurück blicken. Das hilft ihm bei der Beurteilung des Pferdes und des Reiters mit Blick auf die Arbeits- bzw. Reitweise.

Der Sattelbaum – das Herz des Sattels

In den Werkstätten sehe ich Sättel in verschiedenen Stadien der Fertigstellung, sowie hölzerne Sattelbäume vom Kundenaufträgen, die noch bearbeitet werden müssen. Interessiert betrachte ich die Sattelbäume, denn wie oft hat man als Reiter die Gelegenheit mal die Innereien eines Sattels hautnah zu sehen? Rieser hat mir bis dahin sehr detailliert und offen seinen Betrieb vorgestellt, aber nun sind wir beim Thema.

Dass ihm passende Sättel am Herzen liegen, spürt man immer mehr. Provokant frage ich ihn „Was halten Sie von modernen und flexiblen Bäumen?“. „Bei einem Sattel geht es in erster Linie darum, das Gewicht des Reiters so auf dem Rücken des Pferdes zu verteilen, dass keine Schmerzen oder langfristige Schäden entstehen. Idealerweise wird das Gewicht auf einer großen Fläche verteilt, so dass punktuelle Druckstellen vermieden werden. Drücken Sie einen Finger direkt auf eine Matratze. Dann legen Sie ein Buch auf die Matratze und wiederholen es mit dem Finger auf dem Buch, dann verstehen Sie was ich meine“, so Christoph Rieser. „Sattelbäume aus flexiblen Materialien geben dem Druck nach und reichen ihn punktuell auf den Pferderücken durch. Eine starre Konstruktion hingegen verteilt den Druck gleichmäßiger. Wichtig ist bei der starren Konstruktion, dass sie dem Rücken angepasst ist.“, ergänzt er. Die Versteifung dient dem Schutz des Pferdes, ist ein tragfähiges Gerüst und nützt bei der Befestigung von Ausrüstung, bspw. beim Wanderreiten. Und wie gut man die hölzernen Sattelbäume der Fa. Rieser anpassen kann, werde ich später noch erfahren.

Ist ein Kaltblut was Besonderes?

„Was muss bei einem Sattel für Kaltblüter besonders beachtet werden? Gibt es große Unterschiede zu Sätteln für Warmblüter?“ frage ich weiter. „Ein Kaltblut ist auch bloß ein Pferd.“ kommt als unerwartete Antwort, „Sättel werden nicht für bestimmte Rassen gebaut, sondern sind immer angepasst an die Konstitution, den Grad der Ausbildung und das Exterieur eines Pferdes. Dennoch gibt es Besonderheiten bei Kaltblütern. Sie haben oft breitere Schultern, einen runderen Rumpf oder tendieren eher zu einem kurzen Rücken. Das hat zur Folge, dass sich dadurch ein anderer Schwerpunkt des Sattels ergeben kann, der bspw. bei der Anbringung der Gurtung zu beachten wäre.“ erklärt Rieser.

Der bei Kaltblütern oft vorhandene flachere Rücken bedingt weiter auseinander stehende Auflageflächen für den Sattel und eine breite Kammer für optimale Freiheit der Wirbelsäule. Der Sattel sollte auch hinten mehr ausgestellt sein, um die mächtigere Hüfte und Kruppe nicht einzuschränken. Daher ist es wichtig die Bewegungen bei Vermessungen des Rückens zu beachten. Ebenso kann man nicht starr und blind vermeintlichen Grundsätzen folgen. Die oft gehörte Regel „der Sattelschwerpunkt darf nicht vor dem 14. Brustwirbel liegen und der Sattel darf nicht über den 18. Wirbel hinaus schauen“ ist im Grundsatz nicht falsch, dennoch definiert der jeweilige Pferderücken die Sattelform. Rieser bringt es auf den Punkt: Form folgt Funktion! Ein Beispiel: bei Sätteln für Langstreckenritte wird der Schwerpunkt eher von der Schulter weg, weiter nach hinten verlegt.

Der Sitz des Reiters

Auf breiten Pferden ergibt sich physiologisch ein anderer Sitz, der Reiter sitzt eher im Stuhlsitz. Ein langes Bein und klassischer Sitz ist schwerer möglich aufgrund der größeren Spreizung der Beine. Auch die großen Meister reiten so bei breiten Pferden, das ist nicht verwerflich und anders nicht möglich. Dem kann man durch die Anpassung des Sattels ein wenig entgegenkommen: durch eine leichte Erhöhung der Sitzposition und eine andere Formung der Bars (s. Abbildung „Anatomie eines Westernsattels“) ergibt sich eine vorteilhaftere Winkelung der Beine (s. Abbildung „Erhöhung Sitzposition und Winkelung der Bars“?). Sattler und Reiter müssen einen Kompromiss finden zwischen einer Sitzposition „nah am Pferd“ und der sich ergebenden Spreizung der Beine.

Skizze zur Veränderung der Sitzposition und der Spreizung der Beine
Erhöhung Sitzposition und Winkelung der Bars

Die Krux mit verstellbaren Kopfeisen

„Bei anderen Sätteln gefällt mir die Möglichkeit die Schulterfreiheit durch den Austausch von Kopfeisen verändern zu können. Bei Holzbäumen geht das nicht…“, werde ich wieder etwas provokant. Ich bekomme eine simple, aber logische Erklärung, warum dies nicht immer sinnvoll ist: durch den Austausch der Kopfeisen wird lediglich die Winkelung im Schulterbereich verändert, der Rest vom Sattel bleibt gleich. Wird ein Pferd durch Wachstum größer, bleibt typischerweise die Winkelung der Schulter gleich, es verändert sich die Breite. Die Vergrößerung der Schulterfreiheit geht mit einer breiteren Kammer einher. Ebenso wird aus einem Sattel für ein schmales Warmblutpferd durch ein breiteres Kopfeisen selten ein geeigneter Sattel für Kaltblüter. Die Änderung der Winkelung alleine reicht nicht, die Weite der Kammer muss auch beachtet werden, ebenso wie bspw. die Rippenwölbung.

High-Tech

Nun zeigt mir Rieser das Herz seiner Sattlerei. Erstaunlicherweise ist es nicht eine Werkstatt mit Sattelböcken und Ledergeruch, sondern ein Computerraum. Hier zeigt er mir die Möglichkeiten, die sich durch das 3D-Mess-System EQUIscan® ergeben, für das er schon mehrere Auszeichnungen erhalten hat. Neben dem bekannten, blauen Topografen aus Kunststoff gibt es ein ganzes Ökosystem an Technik, die Sattlern damit zur Verfügung stehen: Cloud-Anbindung, 3D-Software aus dem CAD Bereich und Apps für Smartphones. Mein Informatiker-Herz schlägt ein wenig höher…

„Die Schulter- und Lendenwirbel-Freiheit wird bei der Messung bewertet und bei der Produktion des Sattelbaums berücksichtigt. Die Kunst des Sattlers liegt im Augenmaß und der Erfahrung, man kann nicht einfach die gemessenen Werte des Rückens in Holz fräsen. Hierbei wird nicht, wie häufig vermutet, die gemessene Pferderückenform in die Unterseite des Sattelbaums gespiegelt, sondern Freiraum für die Bewegung gelassen. Bei der korrekten Passform eines Sattels bzw. Sattelbaumes geht es immer um die Freistellung im Schulter und Lendenwirbelbereich. Erst hierdurch kann sich das Pferd in seiner Bewegung frei entfalten.“ erklärt mir Rieser, während er im Computer das Modell des Sattelbaums eines konkreten Kundenauftrags lädt. Dabei blendet er das mit den Messdaten des Pferdes konfigurierte virtuelle Abbild des Messgerippes und das Modell des Sattelbaumes übereinander. Mit geschultem Auge und wenigen Mausklicks kann er das Computermodell des Sattelbaumes fast beliebig anpassen.

Durch die Ermittlung der einzelnen Winkel der über 90 Gelenke des Topografen, sowie der Lage im Raum, ist es möglich die Form des Rückens dauerhaft und reproduzierbar zu dokumentieren. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber dem Drahtgitter, das sonst gerne zum Einsatz kommt. Die Entwicklung des Pferderückens kann somit über die Jahre verfolgt werden.

Durch die Konstruktion im Computer kann die Produktion des Holzbaumes durch moderne Holzbearbeitung mit CNC-Fräsen schnell und präzise erfolgen. Die grobe Ausgangsform des Sattelbaums wird durch erfahrene Holztechniker manuell aus verschiedenen Holzstücken mit unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften, verleimt. Danach wird der Sattelbaum computergesteuert gefräst.

„Sie geben eine lebenslange Garantie auf die Anpassbarkeit des Sattels. Wie schaffen Sie es, einen Sattel für ein junges Pferd so zu konstruieren, dass es auch nach Jahren im Training immer wieder angepasst werden kann?“ frage ich Rieser. „Man muss immer einen Kompromiss zwischen Nutzung und Anpassung finden.“ erklärt er. Bei jungen Pferden planen seine Sattler im Schulterbereich mehr Holz bei den Bars. Wenn die Schulter in Laufe der Zeit breiter wird, kann das Holz später entfernt und der Baum dem Pferd angepasst werden. In einem umgekehrten Fall, wenn der Rücken an Muskulatur verlieren sollte und durch Polsterung der Verlust nicht ausgeglichen werden kann, wird zusätzliches Holz am vorhandenen Baum angeleimt und auf eine Messung manuell angepasst.

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Kaltblut und passender Sattel – ein Widerspruch? (Teil 2)

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Dressur, Barock und iberische Reitweisen

Im letzten Beitrag zu Sätteln für Kaltblüter (Teil 1) hatte ich den Fokus auf Westernsättel gelegt. In dem vorliegenden Beitrag möchte ich über Dressur-, Barock- und Iberische Sättel informieren und klären was man bei den Dicken dabei im besonderen beachten muss. Dazu konnte ich mich auf der Equitana Open Air 2016 in Neuss mit Gernot Weber, dem Inhaber der Fa. Signum Sattelservice, über die Möglichkeiten seiner Sättel unterhalten.

Gleich und doch nicht gleich

„Worin unterscheiden sich Ihre verschiedenen Sattelformen für das Pferd?“ frage ich neugierig, um einen Einstieg in unser Gespräch zu bekommen. „Die von Ihnen hergestellten klassischen Dressursättel, Barocksattel oder die Portugiesen sind doch offensichtlich sehr unterschiedlich!“

„Von der individuellen Rückenform jedes Pferdes abgesehen, gibt es aus Sicht des Pferdes keine Unterschiede. Auch wenn die Optik und die Sitzformen für den Reiter völlig unterschiedlich ausschauen und sich sitzen lassen, der für das Pferd wichtige Teil, die Auflagefläche und die tragende Konstruktion, ist im Grunde gleich.“ antwortet Weber.

Er erklärt mir, dass er und seine Kollegen bei ihren Sätteln viel Wert auf eine große Auflagefläche und flache Polsterung legen. Da macht es keinen Unterschied, ob der Sattel für ein Shetty, ein Warmblut, Vollblut oder Kaltblut ist. Weber bringt es auf den Punkt: „Es ist völlig egal, ob es große oder kleine Pferde sind oder welcher Rasse sie angehören, Haut ist Haut und merkt den Druck gleich empfindlich. Wenn ich Ihnen auf den Zeh trete ist es Ihnen auch egal, ob ich den großen oder kleinen Zeh getroffen habe. Tut beides gleich weh.“


(c) Signum Sattelservice

Signum Sattelservice hat einen eigenen semiflexiblen, anatomisch geformten Kunststoffsattelbaum mit exzellenter Torsionsfähigkeit entwickelt. So verbindet sich die notwendige Steifheit, um den Druck gleichmäßig verteilen zu können, mit einer ausreichenden Flexibilität, um die Bewegung des Pferdes nicht zu stören. Im Vergleich zu herkömmlichen Sattelbäumen bietet er eine fast dreifache Auflagefläche.

Größenvergleich Sattelbäume
Größenvergleich Sattelbäume (weißer, klassischer Baum auf rotem Flex-Baum), (c) Signum Sattelservice

Jeder Sattelbaum hat seine eigene, auf das jeweilige Pferd abgestimmte Geometrie. Sie unterscheidet sich nicht nur in Breite und Länge, sondern auch in der Ausformung für den Widerrist, der Kammerweite, dem sogenannten Schwung und insbesondere der Winkelung der Auflagefläche. Ein besonderes Augenmerk wird auf einen extrem breiten Wirbelsäulenkanal gelegt, der bis zu zwölf Zentimetern breit sein kann. Das deckt sicherlich die Bedürfnisse der Kaltblüter ab.

Breiter Wirbelsäulenkanal
Breiter Wirbelsäulenkanal, (c) Signum Sattelservice

Eine möglichst große Schulterfreiheit und ein breiter Wirbelsäulenkanal sollen dem Pferd freie und uneingeschränkte Bewegungsabläufe ermöglichen. Um die Schulterfreiheit auch für Kaltblüter realisieren zu können, nutzen die Sattler bei Signum Sattelservice besonders lange und stufenlos verstellbare Kopfeisen.

Der oft genannte „kurze Rücken“ des Kaltbluts ist nach der Erfahrung von Weber eher ein Mythos. Im Verhältnis zu den Körperproportionen mag der eine oder andere Kaltblutrücken kurz erscheinen, durch die schiere Größe der Kaltblüter jedoch ist die Sattellage ausreichend lang, so dass dies in den seltensten Fällen ein echtes Problem wird.

„Je nachdem wie sich das Pferd bzw. seine Muskulatur entwickelt und ausbildet, können wir den Sattelbaum beliebig oft nachjustieren und der Entwicklung möglichst optimal anpassen.“ stellt Weber noch einmal klar. Diese Anpassbarkeit sollte auch genutzt werden. Pferde verändern sich bei veränderter Intensität des Trainings oder im Laufe des Alters. Es ist zwar eine Binsenweisheit, an dieser Stelle erlaube ich mir dennoch diesen Hinweis: so manches Problem mit der Rittigkeit löst sich durch einen passenden Sattel.

Die Gretchenfrage

„Wie stehen Sie zu baumlosen Sätteln?“ will ich wissen. „Baumlos bezeichnet im Grunde keinen Sattel, sondern eher eine dicke Decke. Beide Systeme [mit Baum oder ohne, A.d.R] haben Ihre spezifischen Vorteile und Schwächen. Wir vergleichen hier jedoch Äpfel mit Birnen. Das ist für beide nicht fair.“ so Weber. „Dennoch muss man wissen, dass baumlose Sättel, wenn wir den Begriff in diesem Zusammenhang mal benutzen wollen, Druckspitzen auf den Pferderücken direkt durchreichen. Wenn man bspw. im Steigbügel steht, drücken die Riemen direkt auf den Rücken. Ein Sattel mit Baum hingegen rahmt das Pferd ein. Das kann auch ein Nachteil sein. Unter dem Strich sehen wir bei der Nutzung von Sattelbäumen aber mehr Vor- wie Nachteile.“

Ein Sattel muss zum Ausbildungsstand von Pferd und Reiter passen und auch gehobenen reiterlichen Ansprüchen der unterschiedlichen Disziplinen bzw. Reitweisen in individuellen Sitzausformungen Rechnung tragen. Als erfolgreicher Reiter der Working Equitation (bis hin zur Bronzemedaille bei Weltmeisterschaften) kann Weber durch seine große Erfahrung sehr gut einschätzen, wie ein Sattel zu Pferd, Reiter, Ausbildungsstand und Reitweise passt.

Gerade bei Sätteln für Kaltblüter hilft die Maßanfertigung gegenüber Modellen von der Stange. Die Dicken haben oft geschwungene Rücken, eine besondere Rippenwölbung und Rippenbogenwinkelung. Das macht eine Anpassung der Standardmodelle schwierig, ein individueller Sattel nach Maß berücksichtigt das alles.

Altes Handwerk und moderne Produktion

Bei Signum Sattelservice wird jeder Sattelbaum individuell nach Maß hergestellt und geformt. Dabei kommen neben handwerklichem Können der Sattler auch moderne Techniken wie CAD-gesteuerte Konstruktion und Produktion, sowie ständige Kontrolle während der Produktion durch Vermessung per Laser zum Einsatz.

Mein persönliches Fazit nach den Gesprächen mit zwei unterschiedlichen Sattlern, deren durchaus unterschiedliche Herangehensweise und den doch überraschend vielen Gemeinsamkeiten fällt sehr positiv aus: für unsere geliebten Dicken müssen wir beim Sattel keine Kompromisse mehr eingehen, egal für welche Reitweise wir uns entscheiden und welchen Ausbildungsstand Pferd und Reiter haben.