Dressur, Barock und iberische Reitweisen
Im letzten Beitrag zu Sätteln für Kaltblüter (Teil 1) hatte ich den Fokus auf Westernsättel gelegt. In dem vorliegenden Beitrag möchte ich über Dressur-, Barock- und Iberische Sättel informieren und klären was man bei den Dicken dabei im besonderen beachten muss. Dazu konnte ich mich auf der Equitana Open Air 2016 in Neuss mit Gernot Weber, dem Inhaber der Fa. Signum Sattelservice, über die Möglichkeiten seiner Sättel unterhalten.
Gleich und doch nicht gleich
„Worin unterscheiden sich Ihre verschiedenen Sattelformen für das Pferd?“ frage ich neugierig, um einen Einstieg in unser Gespräch zu bekommen. „Die von Ihnen hergestellten klassischen Dressursättel, Barocksattel oder die Portugiesen sind doch offensichtlich sehr unterschiedlich!“
„Von der individuellen Rückenform jedes Pferdes abgesehen, gibt es aus Sicht des Pferdes keine Unterschiede. Auch wenn die Optik und die Sitzformen für den Reiter völlig unterschiedlich ausschauen und sich sitzen lassen, der für das Pferd wichtige Teil, die Auflagefläche und die tragende Konstruktion, ist im Grunde gleich.“ antwortet Weber.
Er erklärt mir, dass er und seine Kollegen bei ihren Sätteln viel Wert auf eine große Auflagefläche und flache Polsterung legen. Da macht es keinen Unterschied, ob der Sattel für ein Shetty, ein Warmblut, Vollblut oder Kaltblut ist. Weber bringt es auf den Punkt: „Es ist völlig egal, ob es große oder kleine Pferde sind oder welcher Rasse sie angehören, Haut ist Haut und merkt den Druck gleich empfindlich. Wenn ich Ihnen auf den Zeh trete ist es Ihnen auch egal, ob ich den großen oder kleinen Zeh getroffen habe. Tut beides gleich weh.“
(c) Signum Sattelservice
Signum Sattelservice hat einen eigenen semiflexiblen, anatomisch geformten Kunststoffsattelbaum mit exzellenter Torsionsfähigkeit entwickelt. So verbindet sich die notwendige Steifheit, um den Druck gleichmäßig verteilen zu können, mit einer ausreichenden Flexibilität, um die Bewegung des Pferdes nicht zu stören. Im Vergleich zu herkömmlichen Sattelbäumen bietet er eine fast dreifache Auflagefläche.
Jeder Sattelbaum hat seine eigene, auf das jeweilige Pferd abgestimmte Geometrie. Sie unterscheidet sich nicht nur in Breite und Länge, sondern auch in der Ausformung für den Widerrist, der Kammerweite, dem sogenannten Schwung und insbesondere der Winkelung der Auflagefläche. Ein besonderes Augenmerk wird auf einen extrem breiten Wirbelsäulenkanal gelegt, der bis zu zwölf Zentimetern breit sein kann. Das deckt sicherlich die Bedürfnisse der Kaltblüter ab.
Eine möglichst große Schulterfreiheit und ein breiter Wirbelsäulenkanal sollen dem Pferd freie und uneingeschränkte Bewegungsabläufe ermöglichen. Um die Schulterfreiheit auch für Kaltblüter realisieren zu können, nutzen die Sattler bei Signum Sattelservice besonders lange und stufenlos verstellbare Kopfeisen.
Der oft genannte „kurze Rücken“ des Kaltbluts ist nach der Erfahrung von Weber eher ein Mythos. Im Verhältnis zu den Körperproportionen mag der eine oder andere Kaltblutrücken kurz erscheinen, durch die schiere Größe der Kaltblüter jedoch ist die Sattellage ausreichend lang, so dass dies in den seltensten Fällen ein echtes Problem wird.
„Je nachdem wie sich das Pferd bzw. seine Muskulatur entwickelt und ausbildet, können wir den Sattelbaum beliebig oft nachjustieren und der Entwicklung möglichst optimal anpassen.“ stellt Weber noch einmal klar. Diese Anpassbarkeit sollte auch genutzt werden. Pferde verändern sich bei veränderter Intensität des Trainings oder im Laufe des Alters. Es ist zwar eine Binsenweisheit, an dieser Stelle erlaube ich mir dennoch diesen Hinweis: so manches Problem mit der Rittigkeit löst sich durch einen passenden Sattel.
Die Gretchenfrage
„Wie stehen Sie zu baumlosen Sätteln?“ will ich wissen. „Baumlos bezeichnet im Grunde keinen Sattel, sondern eher eine dicke Decke. Beide Systeme [mit Baum oder ohne, A.d.R] haben Ihre spezifischen Vorteile und Schwächen. Wir vergleichen hier jedoch Äpfel mit Birnen. Das ist für beide nicht fair.“ so Weber. „Dennoch muss man wissen, dass baumlose Sättel, wenn wir den Begriff in diesem Zusammenhang mal benutzen wollen, Druckspitzen auf den Pferderücken direkt durchreichen. Wenn man bspw. im Steigbügel steht, drücken die Riemen direkt auf den Rücken. Ein Sattel mit Baum hingegen rahmt das Pferd ein. Das kann auch ein Nachteil sein. Unter dem Strich sehen wir bei der Nutzung von Sattelbäumen aber mehr Vor- wie Nachteile.“
Ein Sattel muss zum Ausbildungsstand von Pferd und Reiter passen und auch gehobenen reiterlichen Ansprüchen der unterschiedlichen Disziplinen bzw. Reitweisen in individuellen Sitzausformungen Rechnung tragen. Als erfolgreicher Reiter der Working Equitation (bis hin zur Bronzemedaille bei Weltmeisterschaften) kann Weber durch seine große Erfahrung sehr gut einschätzen, wie ein Sattel zu Pferd, Reiter, Ausbildungsstand und Reitweise passt.
Gerade bei Sätteln für Kaltblüter hilft die Maßanfertigung gegenüber Modellen von der Stange. Die Dicken haben oft geschwungene Rücken, eine besondere Rippenwölbung und Rippenbogenwinkelung. Das macht eine Anpassung der Standardmodelle schwierig, ein individueller Sattel nach Maß berücksichtigt das alles.
Altes Handwerk und moderne Produktion
Bei Signum Sattelservice wird jeder Sattelbaum individuell nach Maß hergestellt und geformt. Dabei kommen neben handwerklichem Können der Sattler auch moderne Techniken wie CAD-gesteuerte Konstruktion und Produktion, sowie ständige Kontrolle während der Produktion durch Vermessung per Laser zum Einsatz.
Mein persönliches Fazit nach den Gesprächen mit zwei unterschiedlichen Sattlern, deren durchaus unterschiedliche Herangehensweise und den doch überraschend vielen Gemeinsamkeiten fällt sehr positiv aus: für unsere geliebten Dicken müssen wir beim Sattel keine Kompromisse mehr eingehen, egal für welche Reitweise wir uns entscheiden und welchen Ausbildungsstand Pferd und Reiter haben.