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Kaltblut Hufe sind anders – oder doch nicht? (Teil 2)

Warum die Vermeidung von Beschlägen sinnvoll sein kann

Nachdem wir im vorherigen Blogbeitrag (Teil 1) wichtige und interessante Informationen zur Anatomie der Hufe, insbesondere beim Shire Horse und Clydesdale, sowie den Möglichkeiten und Grenzen von Beschlägen kennen gelernt haben, wenden wir uns in diesem Beitrag der Barhufbearbeitung zu. Ideologisch betrachtet setzen wir uns damit in die andere Ecke des Rings. Aber sowohl Uli Gerusel, mein Experte im letzten Beitrag, als auch Christof Backhaus, DIfHO Hufbearbeiter und mein Experte für diesen Beitrag, sind lange genug im Leben angekommen und wissen um die Vorteile und Möglichkeiten ihrer jeweiligen Professionen.

„Ein Huf muss so bearbeitet werden, dass er funktioniert“, bringt es Backhaus auf den Punkt. „Jo!“, denke ich mir, „Ist ja ganz einfach.“ – und saß die nächsten zwei Stunden bei ihm in der Stallgasse, wo er mir am Beispiel einer seiner Shire Horse Stuten erklärte, was er damit meint. Ich bekomme dabei einen Abriss seiner zweijährigen Ausbildung zum DifHO Huforthopäden nach Jochen Biernat.

Huf und Funktion

Sein Ziel ist es, die auf den Huf wirkenden physikalischen Kräfte (Abrieb und Bodengegendruck) zu nutzen, um ungünstige Belastungen und damit verbundene Verformungen des Hufs mittels einer geeigneten Bearbeitung umzukehren. Es sind physikalische Kräfte, die einen Huf verformen. Es sind aber auch diese Kräfte, mit denen man Hufe orthopädisch wieder richten kann. Die richtige Hufphysik, die Statik, die Druck- und Hebelverhältnisse müssen stimmen. Dabei ist ihm Ursachen- und nicht Symptombehandlung wichtig. Man muss die richtigen Fragen stellen, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Gerade bei Kaltblütern mit ihrem höheren Gewichten ist ein ausbalancierter Huf wichtig. Wie bei einem ausgelatschtem Schuh kann sich bei veränderter Abfussrichtung die Stellung der Gelenke ändern und die darüber stehende Knochensäule dreht sich mit. Das wiederum schadet dem ganzen Bewegungsapparat.

Für ihn als Barhufbearbeiter sind Hufbeschläge (egal ob genagelt, geklebt oder als Hufschuh) als reiner Abriebschutz zu sehen, nicht mehr und nicht weniger. Bei in Arbeit stehenden Pferden kann es durchaus notwendig sein die übermäßige Abnutzung zu stoppen, bevor der Huf sich stärker abreibt als er nachwachsen kann. Dennoch muss die Hufphysik stimmen. Backhaus ist es wichtig zu betonen, dass er nicht kategorisch gegen Beschläge ist, nur sollte die Entscheidung gut überlegt, sowie die Vor- und Nachteile genau abgewogen werden. Wenn z.B. Eisen verwendet werden, muss man u.a. wissen, dass sich sehr häufig die Trachten schneller abnutzen als die Zehe. Betrachten Sie einmal bei abgenommenen Eisen die Stellen auf denen die Trachten sitzen. Dort können leichte Vertiefungen entstehen, die die Trachten in das Eisen gearbeitet haben. Daher muss beim Eisenwechsel nicht nur das Horn weggenommen werden das nachgewachsen ist, sondern die Druck- und Kräfteverhältnisse müssen wieder richtig angepasst werden.

Barhufbearbeitung, Trachten und lange Zehe, vor der Bearbeitung
Untergeschobene Trachten und lange Zehe, vor der Bearbeitung, (c) Christof Backhaus
Barhufbearbeitung Trachten, 6 Monate später
Gleicher Huf nach Barhufbearbeitung, 6 Monate später, (c) Christof Backhaus

Einen Hauptnachteil eines Beschlages sieht Backhaus in der Beschränkung der Hufmechanik, wodurch die Durchblutung verringert wird, was zu gesundheitlichen Problemen führen kann (schlechtes Hornwachstum, schlechte Hornqualität, …). Auch die starke Reduzierung des Tastsinns der Hufe führt tendenziell eher zu Überlastungen und einer schlechten Ausbalancierung auf unebenem Untergrund. Ebenso wird die Hufpflege durch Beschläge erschwert, was wiederum schnell zu Fäulnis führen kann. Neben der erhöhten Rutschgefahr weist er noch einmal auf den verstärkten Abrieb der Trachten hin, wodurch die Überstreckung der Fußgelenke gefördert wird. Gerade wegen letzterem muss ein beschlagener Huf auch orthopädisch richtig bearbeitet werden. Einfaches Ausschneiden, nur um das nachgewachsene Horn zu kürzen, reicht nicht. Dazu aber später mehr.

Aber auch ein Barhuf ist nicht automatisch ein guter und gesunder Huf. Bei weitem nicht! „Nur durch die fachgerechte Bearbeitung eines Barhufes von einem Spezialisten – egal ob das ein Huforthopäde, ein Hufpfleger, ein Schmied oder sonst wer ist – welcher genau weiß wie ein Huf funktioniert und die auf einen Huf einwirkenden Kräfte entsprechend richtig steuern kann, haben Pferd und Besitzer langfristig Freude an gesunden Hufen.“ betont Backhaus.

Besonderheiten beim Shire Horse und Clydesdale

Wie schon im letzten Beitrag beschrieben, findet man besonders beim Shire Horse und Clydesdale rassebedingt häufig ungerade, seitlich wegdrückende Hufwände. Neben den Hebelkräften, die dort wirken, schadet es auch der Hornsubstanz. Typisch bei ihnen ist das oft dick aufgepacke und weit nach unten an der Hufwand gezogene sogenannte „Basthorn“. Die Hufwand besteht aus vielen kleinen Hornröhrchen, die zusammen die tragende Wand bilden. Wird am Kronrand beginnend das eigentlich gerade wachsende Horn „gebogen“ bzw. gehebelt, dann brechen die äußeren Röhrchen auf und bilden dann das Basthorn. Bildlich gesprochen: nehmen Sie eine handvoll Spaghetti in beide Hände und biegen diese vorsichtig bis die ersten Nudeln brechen: so entsteht Basthorn.

Wenn bei beiden Rassen nicht von Geburt eine vernünftige Hufform erarbeitet wird, sind signifikante Hufprobleme in den folgenden Jahren sehr wahrscheinlich. Durch den hohen Druck und der rassebedingten Hufanatomie muss man jedoch meistens Kompromisse finden. Der Huf beim Shire Horse ist, so merkwürdig das auch klingen mag, von der Proportion her zu klein für das Pferd und muss dennoch hohen Kräften Stand halten. Andere Kaltblüter haben ein besseres Verhältnis der Hufgröße und Wandstärke zur Körpermasse. Shire Horses und Clydesdales haben aufgrund der Entwicklung der Rasse noch viel Vollblut eingekreuzt. Durch das hohe Gewicht der Pferde führt der hohe Druck zu „Kotflügeln“ (nach außen laufende seitliche Hufwände) und Trachtenlast, die Zehe wird entlastet und „schnabelt“. Daher haben gerade diese Pferde in Großbritannien, mit ihren durch die Bearbeitung absichtlich herbeigeführten Tellerhufen, die größten Probleme. Denn die nach außen laufende, flache Hufform hebelt besonders gut.

Typisch sind oft Risse, die im Vorderhuf meistens seitlich auftreten. Sie entstehen durch die Spannungen der ungleich auseinander strebenden Hufwände. Barhufbearbeiter korrigieren Risse, indem die Ursache (Hebel und gegeneinander wirkende Kräfte) beseitigt wird. Das bei Rissen oft gesehene „zwingend notwendige“ Eisen behebt nur das Symptom, beseitigt aber für sich alleine nicht die Ursache, die Hebelkräfte sind immer noch da.

Barhufbearbeitung Riss vorher
Shire Horse Huf mit deutlichem Riss, (c) Christof Backhaus
Barhufbearbeitung Riss, 4 Monate später
Gleicher Huf, 4 Monate später,(c) Christof Backhaus

Das andere Ende

Neben den tragenden Hufwänden hat ein Huf „unten rum“ noch weitere Bestandteile, die nicht unwichtig sind. Für mich war bspw. neu, dass der Strahl nach dem Ausschneiden so gekürzt wird, dass er keinen primären Bodenkontakt hat, wenn das Pferd normal auf dem Huf steht. Nur wenn der Huf im Boden einsinkt, dämpft der Strahl den Druck. Meinen fragenden Blick sehend erklärt er gleich warum: „Der Strahl hält dem primären Bodendruck dauerhaft nicht Stand. Wird er zu sehr beansprucht, bilden sich sog. Milchtaschen, die Substanz des Strahls weicht milchig auf. Auch entstehen rote Einfärbungen durch Quetschungen der Lederhaut im Strahl.“. Ein Barhufbearbeiter schneidet die Sohle nicht einfach nur aus, um Platz zu schaffen, sondern glättet sie, nimmt Unebenheit weg und formt sie zusammen mit den Eckstreben zu einer tragenden Komponente.

Apropos Strahl – kommen wir zum Schreckgespenst der Wintermonate: Strahlfäule. Auf meine Frage nach dem perfekten Mittelchen gegen die Fäule kann sich Backhaus ein Grinsen nicht verkneifen: „Der beste Schutz ist richtiges Ausschneiden. Die Fäulnis-verursachenden Bakterien lieben feuchtes, warmes Klima unter Ausschluss von Sauerstoff. Also lautet die Lösung: Luft dran kommen lassen und möglichst trocknen halten.“ Aber Vorsicht! Der vielfach beliebte Jodoformäther trocknet zu viel und zu schnell aus, die Lederhaut nimmt Schaden, es entsteht totes Horn, das mehr schadet als es nützt. Strahlfäule ist zu 90% ein Bearbeitungsproblem, weniger ein Pflegeproblem und lässt sich bei Beschlägen nicht immer verhindern.

Aufgrund von Fäulnis und der dadurch entstehenden Zersetzung des Horns durch anaerobe (sauerstoffmeidende) Bakterien können Hufgeschwüre entstehen, die sich bildende Flüssigkeitsblase drückt gegen die Lederhaut, es kommt zu Schmerzen und damit auch zu Lahmheiten. Dagegen gibt es eine sinnvolle Maßnahme: Das Hufgeschwür möglichst vollständig öffnen, Luft daran kommen lassen und loses Horn entfernen. Die Steigerung davon ist der Hufkrebs, er entsteht durch eine völlig überlastete, gereizte Lederhaut, die kollabiert und zum Hufkrebs blumenkohlartig aufquillt.

Er entsteht aufgrund chronischer Überreizung z.B. durch Hufgeschwüre (s.o) oder durch extreme Fehlbelastungen (bspw. durch Zwanghufe).

„Gibt es Möglichkeiten, wie wir Pferdemenschen die Hufe unterstützend pflegen können?“, frage ich Backhaus. Von der Antwort war ich überrascht, er rät von auf dem Markt vorhandenen Produkten ab und empfiehlt eine sinnvolle und regelmäßige Hufbearbeitung durch einen Fachmann bzw. eine Fachfrau. Die gerade im Sommer gerne durchgeführte Wässerung der Hufe ist nutzlos und schadet eher, denn ein Huf kann Wasser nicht aufnehmen. Es quillt lediglich die äußerste Schicht etwas auf und dadurch reibt sich das Horn auf dem trockenen, harten Sommerboden schneller ab. Bei Pferden, die Hufschuhe tragen müssen, ist zu beachten, dass diese nicht rund um die Uhr getragen werden, der Huf muss Gelegenheit haben abzutrocknen. Was viele nicht wissen: Pferde schwitzen auch über den Huf, so dass sich im Hufschuh immer ein feuchtes Klima entwickeln wird.

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